Da man für die Schlierbacher Festschrift eine Fülle von Material hatte, konnte der nachstehende Artikel nur gekürzt wiedergegeben werden. Wir wollen ihn aber an dieser Stelle Ihnen in voller Länge präsentieren:
Prälat D. Dr. Dr. Diehl und die
Schlierbacher Kirchenbibel
mit der Widmung von

Reichspräsident von Hindenburg

Auf den Bildern von der Einweihung der Schlierbacher Kirche ist ein etwas kleinerer Mann mit Glatze zu sehen - dies war D. Dr. Dr. Wilhelm Diehl, der Prälat der hiesigen Landeskirche. Prälat hieß in diesem Fall: Der erste Mann, der Vorsitzende. Die Hessische Kirche hatte nicht das Wort Bischof für dieses Amt gewählt. Die Amtsbezeichnung stammte von ihm, diesem rührigen Pfarrer, Synodalen und Geschichtsforscher, der die neue Kirchenverfassung nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches - und damit dem Wegfall des Großherzogs als oberstem Repräsentanten der Landeskirche - maßgeblich mitgestaltete.

Schließlich wurde er 1923 selbst in das Spitzenamt gewählt, bis ihn die Nationalsozialisten 1934 aus dem Amt entfernten, da sie die Grenzen seines Anpassungswillens schon bald deutlich merkten.
Wilhelm Diehl wurde am 10. Januar 1871 in Groß-Gerau geboren, entstammt also nicht den Langstädter Diehls, sondern der zweiten südhessischen Diehl-Linie im Ge rauer Land (zwei aus Oberhessen stammende Brüder begründeten nach 1648 diese beiden Linien). Nach Schule und Studium in Tübingen und Gießen absolvierte er das Predigerseminar in Friedberg. Mit dem Ende seiner Studien 1894 legte er auch das Examen zum Dr. phil. ab. Ein Jahr später hatte er die Doktorwürde und wurde ordiniert. Nach kurzer Tätigkeit als Pfarrassistent und provisorischem Lehrer an der Oberrealschule in Darmstadt wurde er 1899 Pfarrer in Hirschhorn (Neckar).
Ebenfalls 1899 heiratete er seine Frau Elise geb. Tesch verw. Winkelmann. 1906 wurde er vom Dekanat Erbach in die Landessynode gewählt.
1908, als er inzwischen in Darmstadt Pfarrer war, gab er in der Landessynode Sätze zu Protokoll, die für ihn bezeichnend waren:

"Als Vater eines Sohnes, der Theologie studiert hat, kann ich sagen, dass die Vertreter der theologischen Fakultät den jungen Leuten schon jetzt viel liebenswürdiger entgegenkommen, als sie in unseren Tagen gewesen sind, (Heiterkeit) dass man sich viel mehr bemüht, das einzelne Individuum zu studieren und es persönlich zu fördern."

"Ich habe als Pfarrer 8 ½ Jahre an der Grenze gestanden. Wie wir in Hirschhorn unser theologisches Kränzchen begannen mit fünf Teilnehmern, die fünf verschiedene Theologien vertraten, da ist es mir immer wieder begegnet, dass ein badischer Kollege uns Hessen wie ein Wunder anstaunte, weil wir Leute aus verschiedenen Lagern uns zusammensetzten und gemeinschaftliche Exegese (Bibelauslegung) trieben. Das war unser Erbteil aus der Vergangenheit, das wir uns nicht nehmen lassen wollen. Ich bin der Typus eines hessischen Theologen - verstehe auch deshalb wohl von Dogmatik so wenig. (Heiterkeit)"

Diehl war also ein geschichtsbewusster und humorvoller Mann, der die vielfältigen Formen des Protestantismus

als Reichtum ansah und voll hinter der unierten Struktur der Landeskirche (also der Verbindung von evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformierten Gemeinden) stand. Diehl hat offensichtlich seine humorvolle Art allgemein gelebt. Fräulein Emma von Zitzewitz ermahnte ihn 1929 nach einem seiner Vorträge schriftlich:"...Hat Luther auf der Kanzel oder bei Vorträgen gescherzt, den Humor spielen lassen? Ich glaube nicht ein einziges Mal..."


Parallel zu dieser kirchlichen Laufbahn, die ihn weiterhin 1913 zum Professor am Predigerseminar in Friedberg werden ließ, verfasste Diehl eine Fülle von geschichtlichen Werken, insbesondere mit kirchengeschichtlichen Themen. Bereits 1904 erhielt er dafür die Ehrendoktorwürde. Als 1918 die alte Struktur der Monarchie zerbricht, arbeitet Diel wesentlich an der neuen Kirchenverfassung. Hierfür erhält er 1931 noch die Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät in Gießen. War vorher die Verbindung zwischen Politik und Kirche klar gegeben, so musste in der neuen Demokratie eine neue Struktur hierfür geschaffen werden. Auf katholischer Seite entstand das Zentrum als politische Partei, der politische Protestantismus fand sich eher bei den nationalen Parteien wieder. Diehl stellte sich der Aufgabe und kandidierte als Repräsentant der evangelischen Landeskirche bei der Hessischen Volkspartei, die unter dem Dach der Deutsch-Nationalen-Volkspartei stand, 1919 für den Landtag. Der Landtag wurde durch SPD, DDP, und Zentrum regiert, die DNVP stellte die konservative Opposition. Aber auch hier bewahrte sich der Prälat seine Unabhängigkeit im Denken und Handeln. Insbesondere in der Erziehungspolitik dachte er fortschrittlich und stimmte zuweilen mit den Linksparteien. Er gerät innerhalb seiner Partei zusehends ins Abseits und kandidiert 1927 nicht mehr.

Als Repräsentant der Hessischen Kirche ergaben sich Treffen mit Reichspräsident Paul von Hindenburg. Dieser war von dem gebildeten und heiteren Mann voller Energie sehr angetan. Diehl berichtet nach dem ersten Zusammentreffen 1925 Carola Barth am 21.12. in einem Brief:

"...Als Hindenburg von hier abfuhr war sein letztes Wort - an mich gerichtet - "Herr Prälat, verlieren Sie Ihren Humor nicht, der ist Herz erquickend." Zu dem sozialdemokratischen Kammerpräsident aber, mit dem er sich über mich unterhalten hatte, sagte er: "Das ist aber ein leutseliger und netter Prälat; solche gibt's bei uns nicht." Ist das nicht nett? Ich bin, wie sie wissen, nicht eitel. Aber dies letzte Wort hat mir gut getan..."
Hindenburg fühlte sich in Diehls Gesellschaft wohl und freute sich über Wiedersehen. Er selbst wurde zunehmend schwermütiger und den Aufgaben des Reichspräsidenten offensichtlich immer weniger gewachsen. Seine

Wiederwahl verdankte er, wie er selbst missbilligend formulierte "den Sozis und Katholen". Es war ihm zuwider, nicht von protestantisch-nationalen Mehrheiten getragen zu sein. Der greise Reichspräsident traf wohl 1930 nochmals mit dem Prälaten Diehl zusammen. Es ist anzunehmen, dass es unter all dem Unerfreulichen in dieser Zeit eine Freude für Hindenburg war, dem heiteren hessischen Kirchenmann zu begegnen. Und soweit Diehl ihm davon erzählt hat, dass gerade in dieser Zeit eine protestantische Kirche neu erbaut wird oder wurde und nun eingeweiht werden soll, dürfte dies sicher das Herz des Reichspräsidenten erreicht haben. Insoweit ist erklärlich, wie in die Altarbibel von Schlierbach eine Widmung Paul von Hindenburgs gelangen konnte.

Wie geht Diehls Leben weiter? Paul von Hindenburg hatte es zunächst abgelehnt, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, da er zu Recht eine Parteiendiktatur befürchtete. 1933 hat er es unter dem Fürsprechen Deutsch-Nationaler Kräfte doch getan. Die Evangelische Kirche sollte unter dem Nationalsozialismus eine nach dem Führerprinzip gestaltete und von staatlicher Seite gesteuerte Organisation werden. Prälat Diehl ging auf manches ein um das Schlimmste zu verhüten, versuchte Kräfte gegen die Gruppierung der "Deutschen Christen" (die mit der NSDAP in Verbindung standen) zu mobilisieren. Bei der Wahl des neu installierten "Reichsbischofs" trat er offensiv für Pfarrer Friedrich von Bodelschwingh ein, dem möglichen Gegenkandidaten des letztlich ernannten, nationalsozialistisch geprägten Pfr. Müller. In seiner Landeskirche wurde Diehl dann beurlaubt. Seine Tätigkeit konzentrierte sich nun in erster Linie auf die geschichtlichen Werke seines Selbstverlages. Gegen Ende des Krieges hatte er schon Vorstellungen zur Neuorganisation der evangelischen Kirche nach dem Nationalsozialismus. Diehl starb bei dem großen Bombenangriff in der Nacht vom 11. zum 12. September 1944 auf Darmstadt.


Ernst-Ludwig-Platz mit Weißem Turm 1945