Was stellt man vor, wenn man sich vorstellt?

Vorstellung bei der Bewerbung, Vorstellung vor dem Kirchenvorstand, Vorstellung für die Babenhäuser und Schaafheimer Zeitung vor der ersten Predigt, Vorstellung in den Gemeindeversammlungen Schlierbach und Langstadt, Vorstellung letzte Woche im Darmstädter Echo und der Babenhäuser Zeitung – wahrscheinlich habe ich noch ein paar Vorstellungen vergessen. Mir fallen diese Selbstdarstellungen und Selbstanpreisungen schwer, denn ich weiß nicht, ob ich das, was ich für Sie sein will, auch wirklich für Sie sein werde.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand, der an meiner Person Interesse hat, nicht schon alles Wissenswerte weiß. Und wenn nicht, möchte ich ihr / ihm wie Philippus dem Natanael (Johannes-Evangelium 1,46) zurufen: »Komm und sieh bzw. höre!«

Nahezu jeden Sonn- und Feiertag werde ich in Langstadt oder Schlierbach predigen. Und die Predigten sagen sehr viel mehr darüber aus, wer ich bin, als alle Ereignisse aus meinem bisherigen Leben. Ich fühle mich als Theologe und Prediger, der für viele Menschen bisher auch zum Seelsorger wurde. Wer mich relativ regelmäßig hört und dabei mitdenkt, wird sicher seinen Gewinn daran haben, gerade weil manches Ungewohnte dabei sein wird. Aber ich weiß, dass dies nicht meine Leistung oder mein Können ist; es ist GOTTES Weg mit mir, und ich wundere mich immer wieder, wohin ER mich und andere bringt.

Mit meinen 56 Lebensjahren bin ich wirklich kein »neuer Pfarrer« mehr, auch wenn man mich in Langstadt und Schlierbach immer wieder freundlich mit den Worten begrüßt:
Ach, Sie sind unser neuer Pfarrer?! Vielmehr ist es am 5. Januar genau 27 Jahre her, dass ich zum Pfarrer ordiniert wurde, und wenn ich etwas gelernt habe in diesen vielen Jahren, dann ist es, dass das einzige, was in GOTTES Welt Bestand hat, die Veränderung ist. Und so kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen, wer ich bin, sondern höchstens, wer ich einmal war. Wer ich heute bin, weiß ich vielleicht später einmal. Von daher ist es auch unsinnig zu sagen, was ich hier erreichen möchte. Denn dazu müsste ich Sie, die Gemeindeglieder von Schlierbach und Langstadt kennen. Ohne diese 'Landkarte', kann ich keine 'Fahrt' planen. Doch wer von Ihnen stellt sich mir ausführlich vor?

Nach dem Abitur, sieben Monaten 'Inspektoranwärter' bei der Deutschen Bundesbahn, 18 Monaten Zivildienst beim DRK, elf Semester Theologie und etwa zweieinhalb Jahren Vikariat in Ewersbach und beim Diakonischen Werk begann meine Laufbahn am 1.Januar 1986 als Pfarrvikar und später als Pfarrer in Kroppach und Umgebung. 14 Dörfer umfasste das Kirchspiel, die von meinem Kollegen, der sechs Wochen nach mir begann, und mir betreut wurden. Sieben Dörfer für jeden, die größeren für mich, den Anfänger (2000 Gemeindeglieder hatte ich, und 1300 er). Als mein Kollege krankheitsbedingt sehr früh in Pension ging, wechselte auch ich am 1.April 2001, nach Runkel-Steeden. Hier hatte ich nun allein drei Dörfer mit einem Kirchenvorstand und 1300 Gemeindeglieder zu betreuen. In Steeden selbst gab es neben der reformiert geprägten EKHN-Gemeinde und 400 Katholiken noch 450 Mitglieder von drei verschiedenen lutherischen Freikirchen. Im Außenort Dehrn hingegen hatten auch 500 Jahre nach der Reformation viele nicht begriffen, dass es in ihrem Ort neben Katholiken etwa 15% Evangelische und 15% Muslime gab. In meinen ersten Jahren dort wurden wir Evangelische an vielen Stellen einfach ignoriert. Als ich ging, kam es jedoch seltener vor.

Im November 2011 kündigte ich dort in Steeden an, mir etwas Neues suchen zu wollen, woraufhin Pröpstin und Dekan mir anboten, zuerst endlich einmal die drei Monate Studienurlaub zu nehmen, die uns Pfarrern alle zehn Jahre zustehen; – bei mir waren mittlerweile knapp 26 Jahre zusammen gekommen. Konfessionen und Religionen in den Dekanaten Runkel und Weilburg waren mein Thema.

Viereinhalb Monate Dienst in einem kleinen Gefängnis (JVA Limburg) schlossen sich an und öffneten mir die Augen für eine Parallelwelt, welche meines Erachtens zu wenig beachtet wird. Es ist in Deutschland schwer, Menschen im Gefängnis zu besuchen und so das Wort JESU zu erfüllen: »Ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen!« (Matthäus-Evangelium 25,36); nun hatte ich dazu die Gelegenheit. Ich wäre gerne geblieben, doch laut Plan war dies nur eine 25%-Stelle, auch wenn man locker sehr viel mehr Zeit für diese Menschen aufbringen könnte und müsste. Dabei begleitete ich an sieben Tagen einen Mörder zum Gericht und danach in der JVA, bei einem Betrüger erlebte ich im Gerichtsaal die nachträgliche Aussetzung seiner Strafe auf Bewährung mit elektronischer Fußfessel, nachdem er schon ein halbes Jahr abgesessen hatte. Einem anderen besorgte ich eine Plastikrose und eine riesige, fürchterlich kitschige Liebes-Grußkarte für seine Braut, weil er sie gerade mit dieser Hässlichkeit umwerben und beglücken wollte– über Geschmack lässt sich (nicht) streiten. Schließlich beschaffte ich für einen Muslim in einer Moschee zum Ramadan einen (kostenlosen) Koran und jemand anders den Fahrplan, wie er nach seiner Entlassung an den Bodensee kommt. Seelsorge hat viele Gesichter, nicht nur hinter Gittern – und sie macht nicht Halt an Religionsgrenzen.

Zum Privaten kann ich noch erwähnen, dass ich seit 33 Jahren und 7 Monaten verheiratet bin. Das scheint manchen vielleicht langweilig zu sein, ist es aber nicht. Denn auch von uns gilt, dass wir uns ständig verändern. Indem wir uns also treu blieben, lebten wir quasi immer wieder mit einem anderen Menschen zusammen, auf den wir uns neu einstellen konnten und wollten. Nur(?) dessen Name blieb immer gleich. Gemeinsam haben wir drei Kinder, die alle noch studieren, keines jedoch Theologie. Meine Eltern sind bereits seit 15 bzw. 20 Jahre bei GOTT, sie wurden 69 bzw. 70 Jahre alt. Von meinem Vater habe ich den Spaß daran geerbt, Dinge selbst zu versuchen, zu reparieren oder zu bauen, auch wenn dies nachher nicht ganz professionell aussieht.

Um zum Schluss zu kommen: Ich war eigentlich immer ein sehr ernster, gewissenhafter Mensch und bin es mit hoher Sicherheit noch immer. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich nach meiner Studentenzeit noch einmal so viel und fröhlich gelacht habe, wie in den letzten Monaten, besonders nach meiner Bewerbung in Schlierbach und Langstadt. Natürlich hoffe ich, dass das noch eine ganze Weile so bleibt. Allein das zeigt mir, dass ich hier richtig bin und mich hier rundum wohlfühle. Ich freue mich, jetzt hier zu sein– und das gilt ohne Abstriche auch für meine Frau.

Es grüßt Sie herzlich Ihr 'neuer' Pfarrer

Hans-Josef Born